Um den Jahreswechsel von 1909 auf 1910 entwarf Josef Gočár eine monumentale Stätte für die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, die bis dato in der Černilova ulice ihren Sitz hatte. Es handelte sich um ein Projekt für einen Baukomplex mit mehreren Funktionen in monumentalen, modernen Formen. Gočár konzipierte das Projekt als raumplanerische Lösung für den Kavčí plácek in der Innenstadt, das an der Ringstraße Richtung Pospíšilova třída liegen sollte. Diese Straße wurde um die Jahrhundertwende zu einem Vorzeige-Boulevard umgewandelt; eine Reihe bedeutender Schul- und Sozialinstitutionen hatten dort ihren Sitz. Josef Gočár befasste sich zu jener Zeit mit einer Frage, die der deutsche Architekt Peter Behrens aufwarf: Welche monumentalen Formen soll die Architektur der Moderne verwenden? Maßgeblich für Gočár war Behrens Text „Was ist monumentale Kunst?“; dieser erschien im Jahr 1909 auf Tschechisch in der Zeitschrift Styl. Den Einfluss Behrens‘ demonstrierte Gočár in seinen nicht realisierten Entwürfen für die Luthar-Gemeinde, aber auch im Wettbewerb für den Anbau des Altstädter Rathauses, wo seine Pläne wegen ihrer Radikalität aus dem Wettbewerb ausgeschlossen wurden, sowie in den Entwürfen zur Evangelischen Kirchen in Hradec Králové. In Bezug auf das Material und die Fassaden inspirierte sich der Architekt durch die Architektur der italienischen Renaissance. Zu sehen ist dies im schmalen Turm mit den Statuen evangelischer Kirchenväter an der Spitze oder dem markanten Kranzgesims und den verschiedenartigen geometrischen Texturen, ähnlich der Keramikfliesen an der Fassade des Dogenpalast in Venedig. Von den Mustern der italienischen Renaissance scheint auch der zur Pospíšilova třída gelegene Trakt mit dem Gebetshaus inspiriert zu sein; er sollte über einen gewölbten Bogen und eine halbrunde Apsis verfügen. Der Haupttrakt des Gebäudekomplexes sollte bis zum ersten Stockwerk groben Putz mit vertikalen Streifen bekommen, zwischen erstem und zweitem Stock war ein markantes Gesims geplant, mit glattem Putz für die Fassade des zweiten Stockwerks. Im Entwurf gibt es auch einen zwei Stockwerke hohen Risalit mit Fensterachse, der auf den Kavčí plácek hinausragt.
Die Treppe, die den Kavčí plácek mit der Ringstraße verbinden sollte, konzipierte Gočár ähnlich wie die Treppe bei der Marienkirche, die zur selben Zeit entstand. Unten war sie halbreisförmig und pompös gestaltet. Entlang der Treppe standen zwei Quader mit Beleuchtungskörper. Darüber befand sich eine längliche Passage mit Zwischenpodest, danach war die Treppe in vier Arme unterteilt.
Die Innenräume waren zweckdienlich gestaltet: das selbständige Gebetshaus konzipierte Gočár in einem zwei Stockwerke hohen selbständigen Trakt, der sich vom Hang abhob und zur Pospíšilova třída gerichtet war. Dort hätte die Fassade mit zwei weiblichen allegorische Statuen geschmückt werden sollen, wofür sich Gočár vermutlich bei Kotěras Museumsgebäude inspiriert hatte. Das Gebetshaus hätte mit dem Souterrain des Haupttraktes verbunden sein sollen, es war jedoch auch ein selbständiger Eingang von der Treppe aus geplant. Über die geplante Verzierung und Ausstattung im Innenraum ist nichts überliefert. Man weiß nur, dass für die Ost- und Westseite des Gebetshauses eine Empore im ersten Stock geplant war, auf der Westseite mit Sitzgelegenheiten und auf der Ostseite mit Fenstern. Als Abschluss war eine einstöckige Apsis geplant.
In den Plänen für den Souterrain des Haupttrakts befanden sich Betriebsräumlichkeiten – Heizraum, Waschküche und Keller. Im Erdgeschoss befand sich eine Eingangshalle, die ähnlich wie die Treppenhalle in Einfamilienhäusern das Herzstück des Gebäudes bildete. Von dort aus führten zwei Wege weiter: man erreichte drei große Klassenzimmer im südlichen Teil, eine Mensa und eine Ein-Zimmer-Wohnung mit Küche, die für den Pfarrer bestimmt war. Das Gebäude hatte zwei Treppenhäuser: eine schmale Wendeltreppe im nördlichen Teil und eine zweiarmige Haupttreppe im südlichen Teil. Im Obergeschoss befanden sich die Wohnräume des Pfarrers im nördlichen Teil und große Schlafzimmer für das evangelische Internat im südlichen Teil. Die meisten Schlafmöglichkeiten befanden sich im zweiten Stock, jeweils mit einem gemeinsamen Waschraum und Toiletten.
Gočárs visionäres Projekt wurde nicht realisiert, womöglich aus finanziellen Gründen, vermutlich spielte jedoch auch die sehr radikale Form eine Rolle. In den Jahren 1913 bis 1915 wurde ein weitaus weniger kostspieliges, klassischeres und weniger anspruchsvolles Projekt von Václav Rejchl sen. und Václav Rejchl jun. an dieser Stelle realisiert.
LZL
Denkmalschutz
Das Projekt wurde nicht realisiert.
Quellen
- Muzeum východních Čech, sbírka plánů, Josef Gočár, Lutherův ústav
Literatur
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Jan Jakl, Sny a vize: Neuskutečněné projekty Josefa Gočára pro Hradec Králové, Hradec Králové 2010, s. 4‒7