Die Evangelische Kirche Helvetischen Bekenntnisses in Hradec Králové hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts Ambitionen, ein repräsentatives Gotteshaus in der Stadt zu errichten. Nachdem erste Entwürfe von Václav Rejchl sen. im historisierenden und gemäßigt modernen Stil nicht realisiert worden waren, hoffte man auf den jungen, radikalen Architekten Josef Gočár, der in Hradec Králové gerade seinen ersten eigenständigen Auftrag realisiert hatte – die Stahlbetontreppe bei der Marienkirche.
Während die älteren Entwürfe Rejchls ebenso wie das definitive Projekt Liskas den traditionellen Typus christlicher Kirchen als Grundlage hatten (rechteckiger Gebetsraum mit Turm und selbständiger Pfarrei), war Gočárs Konzept weitaus radikaler. Nach dem Vorbild von Peter Behrens und August Perret konzentrierte sich Gočár auf markante Formen, die frei von jeglichen historischen Konnotationen waren.
Die Kirche sollte einen rechteckigen Grundriss mit halbkreisförmigem Abschluss bekommen. Das Gewölbe hatte eine zylindrisch-halbkreisförmige Form, abgeschlossen von einer Apsis. Dem halbkreisförmigen Portikus, zu dem vierzehn Stufen hochführten, folgten der Türbereich, ein Vorraum und die hohe Gebetshalle selbst. Anders als bei christlichen Kirchen üblich, war der Chorraum nach Westen ausgerichtet sein, d. h. zum Eingang. Der Chorraum wurde umgangen und die Bänke für die Mitglieder der Pfarrgemeinde befanden sich im hinteren Teil der Kirche. Rund um das Erdgeschoss befand sich eine Galerie, die durch eine Arkade mit Halbkreisbögen vom Hauptschiff getrennt war. Darüber waren schmale, steifenförmige Bleiglasfenster vorgesehen. Auf der Vorderseite der Kirche befand sich ein großes, vermutlich ebenfalls mit Bleiglas besetztes Fenster mit geometrischem Muster. Gočárs Entwurf verzichtete auf einen Turm sowie auf die traditionellen Merkmale von Grundriss und Aussehen christlicher Kirchen. Betont wurde die einfache, gewölbte Form, ergänzt durch einen Kreuzgang mit ovalen Fenstern und einem System aus Säulen zwischen den Bleiglasfenstern; diese trugen das markante Gesims der Kirche, das an das stilisierte Stützsystem und die Fenster gotischer Kathedralen erinnert. Diese markante und zugleich einfache architektonische Geste, gänzlich frei von baulichen und religiösen Traditionen, gefiel den Vertretern der Kirche vermutlich nicht, und man wandte sich an den jungen Architekten Oldřich Liska, der ein konventionelleres Projekt mit Turm entwarf. Der Kunsthistoriker Jakub Potůček schreibt über die Gočárs Entwurf der Kirche: „[O]bwohl sie einen sehr klassischen Eindruck vermittelt, ist der Einfluss utopischer Architektur der italienischen Futuristen durch die aerodynamischen Formen gut erkennbar“. Viel eher lässt sich in dem Projekt die Suche nach einem neuen, erhabenen Stil erkennen, über den Behrens zur selben Zeit schreib. Sein Text Co je monumentální umění? (dt. „Was ist monumentale Kunst?“) wurde 1910 in der Zeitschrift „Styl“ publiziert. Behrens schrieb dort: „Alle Einzelheiten, alle Besonderheiten des launischen Ausdrucks schaden hier.“ Und: „Wir fordern eine strenge, hohe Ernsthaftigkeit, nicht Dekorativität, Gefälligkeit, Launen.“
LZL
Das Projekt wurde nicht realisiert.
- Národní technické muzeum, Archiv architektury a stavitelství, fond Josef Gočár, č. 14, inv. č. 20110418/02
-
Marie Benešová, Josef Gočár, Praha 1958, s. 50
-
Jan Jakl, Sny a vize: Neuskutečněné projekty Josefa Gočára pro Hradec Králové, Hradec Králové 2010, s. 8–11
-
Jakub Potůček, Hradec Králové: Architektura a urbanismus 1895–2009, Hradec Králové 2010, s. 27
-
Zdeněk Lukeš; Pavel Panoch; Daniela Karasová; Jiří T. Kotalík, Josef Gočár, Praha 2011, s. 38