Jan Štursa (1880–1925) zählt zu den Gründern der tschechischen modernen Bildhauerei. Er berei-cherte die lokale Szene zusätzlich zur Strenge von Josef Myslbek und der expressiven Struktur von Otto Gutfreund um das Traumhafte, Emotionale, Sensible, um Sinnlichkeit und Zauber. Er wird als „Vitalist“ bezeichnet, was in einer Reihe an Plastiken auszumachen ist, die dem Thema des Festen und Dynamischen im menschlichen Körper gewidmet sind (Eva, 1908, Sulamit Rahu, 1910–1911). Ein neues Gleichgewicht zwischen emotionalen und konstruktiven Komponenten erreichte der Bildhauer in der Skulptur „Ruhende Tänzer“ aus dem Jahr 1913. Im Geiste der ne-oklassizistischen Betonung der körperlichen Schönheit und des energetischen Lebensgefühl ge-staltete Štursa die Statuengruppe Arbeit und Humanität (1912–1913), die sich auf der Prager Brü-cke Hlávkův most befindet. Der Bildhauer wählte im Jahr 1925 den Freitod, den er als einzigen Ausweg aus der unheilbaren Krankheit erachtete, mit der er konfrontiert war. Der tschechische Bildhauer und Zeichner Josef Wagner (1901–1957) erinnerte sich im Jahr 1934 an seinen Lehrer: „Wann auch immer ich mich an Jan Štursa erinnere, sehe ich einen klaren, sonnigen Tag vor mir, einen vollen und wunderschönen sommerlichen Morgen.“
Mit Vorliebe arbeitete Jan Štursa mit berühmten Architekten zusammen: Ab 1910 war er „Haus- und Hof-Bildhauer“ für Projekte des Architekten Jan Kotěra (1871–1923), später arbeitete für Kotěras Schüler Josef Gočár (1880–1945).
Die Plastik des Siegers war ursprünglich Teil eines Denkmals für den berühmten tschechischen Schriftsteller Svatopluk Čech (1846–1908), realisiert in den Jahren 1918–1921. Doch hat sie sich nach und nach verselbständigt und das Werk des Bildhauers bis zu seinem Tode begleitet. Štursas Sieger und eine weitere Statue, Der Verletzte, die zum Symbol der neuen tschechoslowakischen Staatlichkeit wurde (die Statue befand sich im Parlament und Präsident Masaryk legte vor ihr sei-ne Eide ab), brachten dem Bildhauer den Titel „Dichter und Bildhauer der Jugend“ ein. Der Sieger hat seine Vorlage in der Skulptur der Nike von Samothrake, einer dynamischen, beflügelten und „laufenden“ Statue aus der griechischen Antike, die nach ihrer Entdeckung 1863 in den Pariser Louvre gebracht wurde und sich seitdem dort befindet. In der griechischen Mythologie war Nike die Göttin des Sieges. Štursa konzipierte den Sieger als neue, siegreiche Idee, die zugleich Mut und Kraft der Jugend in der neu gegründeten Republik darstellen sollte. Die Figur des jungen Mannes ist Genius und Beschützer des Ortes. Der Bildhauer sah in ihm das „Wappen“ der neuen Welt.
Die monumentale Bronze-Plastik des Jünglings mit einem Lindenzweig in der Hand wurde 1925, auf der Internationalen Ausstellung für moderne dekorative Kunst und Kunstgewerbe in Paris an der Fassade des tschechischen Pavillons angebracht. Die Ausstellung wurde am 28. April 1925 eröffnet, Štursa nahm an der Zeremonie nicht teil, am selben Tag fand jedoch die feierliche Ent-hüllung seiner Statue Geschenk des Himmels und der Erde in der Modernen Galerie in Prag statt. Nach der Zeremonie ging Štursa in sein Atelier in der Akademie der bildenden Künste und wollte sich erschießen. Fünf Tage später erlag er seinen Verletzungen. Die Plastik des Siegers bildete das Zentrum der architektonischen Komposition des tschechoslowakischen Pavillons, für die der Ar-chitekt Josef Gočár die goldene Medaille, den Orden der Ehrenlegion und den Grand Prix erhielt. Die Stadtverwaltung von Hradec Králové kaufte neben dem Sieger noch Gutfreunds Steinernes Wappen mit dem Böhmischen Löwen und dem Slowakischen Doppelkreuz. Das Relief war direkt in die Architektur des Pavillons integriert, dessen Fassade glatte, verputzte Wände und unverputz-tes Sichtmauerwerk kombinierte. Diese Materialen verwendete Gočár auch bei der Adjustierung des Reliefs in Hradec Králové – die Materialkombination bildet einen effektvollen Kontrast und sorgen für eine ausgeglichene architektonische Komposition. Gutfreunds Löwe steht vor dem süd-lichen Flügel Richtung Tylovo nábřeží. Im Wappen steht die Jahreszahl 1925–27. Neben Štursas Sieger und Gutfreunds Reliefwappen ist auch der Brunnen mit der Bronzeplastik Der Motorrad-fahrer (Sonnenstrahl) von Otokar Švec zu erwähnen, der sich vor dem Pavillon der besagten Pari-ser Ausstellung befand.
Nach der Fertigstellung des Schulgebäudes nach dem Projekt von Josef Gočár wurde die Plastik des Siegers auf einem hohen Sockel installiert. Anders als für die Pariser Ausstellung, wo sich die Statue direkt auf dem Pavillon befand, steht die Plastik in Hradec Králové selbständig, und das Gebäude des Gymnasiums bildet den Hintergrund. Die Sieger-Statue wurde angeblich sofort nach Beendigung der Pariser Ausstellung im Oktober 1925 nach Hradec Králové gebracht; installiert hat man sie aber erst nach Štursas Tod. Von einer Bronzeplastik können bis zu fünf Abgüsse er-stellt werden, von Štursas Sieger existieren zwei; der zweite befindet sich in Prag vor dem Lust-haus der Königin Anna, wo sie nach einer Ausstellung von Werken Jan Štursas und seiner Studie-renden im Jahr 1977 installiert wurde.
Die Stadt Hradec Králové sollte noch eine weitere Plastik von Štursa bekommen, und zwar ein Denkmal von T. G. Masaryk, dem ersten Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik, das für den heutigen Masarykovo náměstí vorgesehen war. Durch den verfrühten Tod des Bildhauers wur-de das Denkmal später von Otto Gutfreund angefertigt, unter Mitarbeit des Architekten Josef Go-čár.
JFB
Die Plastik Der Sieger befindet sich im denkmalgeschützten Teil der Stadt Hradec Králové.
- Archiv Národní Galerie v Praze, fond Jan Štursa, fond NAD: 15 Inventář osobního fondu
- Státní okresní archiv Hradec Králové, fond NAD: 240 Gymnázium v Hradci Králové
- Státní okresní archiv Hradec Králové, fond Berní správa HK, čp. 683
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Štursova socha v Hradci Králové, Osvěta lidu, 1926, roč. XXIX, č. 9, 30. 1. 1926
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Jakub Pavel, Dějiny umění v Československu, Praha, 1978, s. 213–214
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Petr Wittlich, České sochařství ve XX. století, 1978, s. 79–97
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Jiří Mašín, Tibor Honty, Jan Štursa 1880–1925: geneze díla, Praha, 1981, s. 7
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Galerie moderního umění Hradec Králové, Česká meziválečná plastika: ze sbírek Galerie moderního umě-ní v Hradci Králové, Hradec Králové, 2012, s. 3