Ende des Jahres 1908 wurde Josef Gočár, kurz nachdem er das Atelier von Jan Kotěra verlassen und selbstständig zu arbeiten begonnen hatte, von František Ulrich, dem Bürgermeister der Stadt Hradec Králové, dazu aufgefordert, eine Treppe für die Marienkirche zu entwerfen. Die Konstruktion aus armiertem Stahlbeton ist das zweite Projekt des Architekten, das in Hradec Králové realisiert wurde und befindet sich an Stelle des Gasthauses U Zlatého beránka (Zum goldenen Widder) sowie des Kropačka-Turms (den die Gemeinde zuvor als Kerker nutzte); beide wurden abgerissen. Der Zerstörung dieses Renaissance-Turms folgte eine lange Diskussion darüber, ob es nötig sei, einen neuen Zutritt auf den Großen Platz zu errichten. Gočár musste bei der Realisierung dieses Projekts den enormen Höhenunterschied beider Straßen sowie die unterschiedlichen Stile der anliegenden Bauwerke berücksichtigen. Ausgearbeitet hatte er das Projekt wahrscheinlich zur Jahreswende 1908/1909, denn er schickte dem Bürgermeister bereits am 11. Februar die vollständige Dokumentation des Bauprojekts. Im Stadtrat wurde Gočárs Projekt am 15. Mai 1909 genehmigt. Einen entscheidenden Einfluss auf die Form des Entwurfs hatte der Anspruch, die unansehnlichen Gärten und Höfe bei den Südterrassen zu verdecken. Ein Bogen schließt den von der Altstadt kommenden, zur Ringstraße gerichteten ab und verbindet dadurch zwei sehr unterschiedliche Teile der Stadt. Die hohe Mauer mit Bogen wurde in den freien Raum zwischen den Häusern gesetzt und funktioniert als Stützwand.
Der Stadtrat entschied bei einer Sitzung am 20. September 1909, den Auftrag „gemäß den Entwürfen an den Architekten Joža Gočár aus Prag“ zu vergeben. Die Treppe ist mit Kunststein verputzt. Die Betonoberfläche wurde mit einem Hammer bearbeitet; Gočár wollte, dass sie wie fein gestockter Granit aussieht. Den Entschluss, dieses damals unübliche Material zu verwenden, begründet der Architekt in einem Brief an den Bürgermeister Ulrich: „Ich entschied mich aus für Beton, denn bei einer derart großen architektonischen Masse, die für die Fertigstellung dieses Projekts benötigt wird, ist dieses Material besser geeignet und billiger als Stein, und auch deshalb, weil es sehr witterungsbeständig ist und sein ursprüngliches Erscheinungsbild behält. Die Oberfläche des Betons würde so verarbeitet werden, dass sie den Eindruck erweckt, es würde sich um fein gestockten Granit handeln.“ Doch gerade in Bezug auf die Ausführung der Oberflächengestaltung kam es zu Unstimmigkeiten zwischen dem technischen Büro und der Firma Bohumír Holmann a spol., welche mit den Arbeiten beauftragt war. Das Unternehmen verwendete nämlich anstatt des geplanten Zementputzes einen künstlichen Putz, wodurch sich der Preis erhöhte. Dieses Vorgehen verteidigte die Firma damit, dass sie den Kunstputz auf Gočárs ausdrücklichen Wunsch verwendet hatte. Schließlich stellte sich heraus, dass Gočár darüber mit der Firma überhaupt nicht verhandelt hatte; er hatte dazu auch keine Berechtigung. Das technische Büro lehnte es ab, der Firma mehr zu bezahlen, womit man den Streit für beendet erklärte. Am 24. August 1910 wurde die Treppe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Treppe ist etwa 20 m lang, mit zwei Zwischenpodesten und einem quadratischen Podest, an dessen linker Seite eine weitere Treppe mit Zwischenpodest anschließt, wo sich die Treppe um 180 Grad dreht. Ein flaches, breites und massives Geländer säumt die Treppe zur Gänze; rund um die Podeste befinden sich längliche Öffnungen. Zur Straße hin erhebt sich eine Mauer mit hohem Bogen mit prismatischem Gerippe, zwischen denen sich im unteren Teil halbkreisförmige Öffnungen befinden. Drei Laternen bildeten den Beleuchtungskörper des Bogens.
Es handelt sich dabei um eines der wenigen Werke jener Zeit, das die Entwicklung der modernen Architektur vorantrieb – und zwar sowohl in Bezug auf die räumliche Konzeption als auch auf der bildnerischen Seite. Das monumentale Bauwerk aus Beton sorgte nicht nur durch seinen Verwendungszweck und seine kahl anmutende Konstruktion aus Stahlbeton bei den Bewohnerinnen und Bewohnern von Hradec Králové für Erstaunen. Kurz nach seiner Fertigstellung wurde das Projekt scharf kritisiert. Im Volksmund wurde die Treppe sogar „Zu den drei Stiefeln“ genannt, wegen der atypischen Form der Lampen, die einem 2-Liter-Bierglas, vulgo Stiefel, ähnelten. Die Reaktionen der lokalen Bevölkerung fielen kontrovers aus. Auch die lokale Presse ging nicht gerade sparsam mit Kritik um: „Ist das schön? Es ist zwar modern, aber schön ist das nicht. […] Diese leeren, monotonen Mauern passen ganz und gar nicht zu der barocken Marienkirche und die barocke Fassade des Hauses Zum goldenen Widder. Betrachtet man das Bauwerk von der Komenského-Straße aus, so schlagen sich dessen Mauern überdies mit der schönen Fassade des Hauses Zum goldenen Widder so fürchterlich, dass auch jemand, der nur ein klein wenig Geschmack hat, die Augen lieber abwendet. Es war ein Fehler, die Treppe nicht an ihre Umgebung anzupassen. Dieser schändliche Fehler lässt sich nicht mehr beheben.“ In einer Zeitung heißt es sogar: „Das geschmackslose Tor, das nun mal steht, kann nicht mehr abgerissen werden, aber zumindest sein Anblick vom Hauptplatz (tsch. Velké náměstí) aus müsste verdeckt werden. Am einfachsten wäre es, ein geschmackvolleres Tor zwischen der Marienkirche und dem Haus Zum goldenen Widder zu errichten, wo zuvor eine Mauer stand und in das oder hinter das der Transformator vom Hauptplatz gesetzt werden würde, der nun wirklich keine Zierde darstellt.“ In den dreißiger Jahren wird die Treppe als „ästhetisch-hygienischer Schandfleck erster Klasse“ bezeichnet. Die ruhige Ecke wurde abends und nachts von Besuchern des Wirtshauses verunreinigt. Die Presse ruft zur Errichtung öffentlicher Toiletten in der Nähe der Treppe auf. Damit verbunden entstand auch ein Epigramm, in dem es sinngemäß heißt:
„Auf all das Moderne in der Welt der Propheten / kann der Salon der Republik, die Stadt der Sklaven nicht verzichten / Man schafft auch öffentliche Klosetts vom Typ nagelneu heran / schaut euch die Treppe von Gočár an“.
František Tichý stellte sich hinter Bauwerk das Bauwerk, denn er sprach sich für moderne Architektur aus. In der lokalen Presse schrieb er: „Wenn wir wollen, dass Hradec Králové eine schöne Stadt wird, müssen wir uns an wirklich hervorragende Architekten wenden und sie mit Entwürfen beauftragen. Seien wir froh, dass der Sinn für Schönes in Hradec überhandgenommen hat und gehen wir weiter, übergehen wir jene, die von Natur aus keinen Sinn für Schönes haben, oder er bei ihnen nicht geweckt wurde, oder sie nicht über die nötige Bildung verfügen.“ Im Jahr 1930 schreib der Kunsthistoriker Karel Herain über die Treppe, dass „sie in die Umgebung wie eine bedeutende Selbstverständlichkeit passt“ und dass Hradec durch sie „das erste kompromisslose Beispiel puristischer Architektur bekommen hat“.
Gočár inspirierte der Essay „Was ist monumentale Kunst?“ des Architekten Peter Behrens aus dem Jahr 1908, der in der Zeitschrift „Styl“ publiziert wurde. Auf Basis dieses Essays können wir die Treppe als … „monumentale architektonische Leistung“, deren Monumentalität „nicht in der Größe, sondern in der Zeitlosigkeit“ liegt.
In den Jahren 1995–1997 wurde die Treppe zur Gänze renoviert und mit einem farblich unpassenden gelben Putz versehen. Im Jahr 2009 wurde sie nochmals renoviert und weiß verputzt.
ZH
Seit 1964 unter der Registernummer ÚSKP 39702/6-553 als Kulturdenkmal eingetragen, befindet sich in der Denkmalschutzzone der Stadt (MPR).
- Státní okresní archiv Hradec Králové, Archiv města Hradec Králové, inv. č. 1751, Záležitosti stavební a veřejné komunikace, 1906, kart. č. 336
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Je to krásné? Ratibor, 1910, roč. XXVII, č. 30, 23. 7. 1910, s. 5
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Schody u Mariánského kostela, Ratibor, 1910, roč. XXVII, č. 39, 24. 9. 1910, s. 5
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Hradecké epigramy, Osvěta lidu, 1936, roč. XXXIX, č. 52, 18. 7. 1936, s. 4
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Marie Benešová, Josef Gočár, Praha 1958, s. 8
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Jakub Potůček, Hradec Králové: Architektura a urbanismus 1895–2009, Hradec Králové 2009, s. 25–26
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Daniela Karasová; Jiří Kotalík; Zdeněk Lukeš; Pavel Panoch, Josef Gočár, Praha 2010, s. 38–39
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Jindřich Bořecký; Ivan Exner; Martin Novotný; Tomáš Novotný, Josef Gočár, Otakar Novotný, Praha 2011, s. 47
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Jiří Zikmund; Ladislav Zikmund-Lender (eds.), Architektura Hradce Králové na fotografiích Josefa Sudka, Hradec Králové 2014, s. 88–89