„…mit diesem Konzept eines Gebäudes, in dem eine zylinderförmige Eckkomponente vorherrscht, war man der Entwicklung um mehr als zehn Jahre voraus“, schreibt die Architekturhistorikerin Marie Benešová über dieses Haus. In der Fachliteratur bringt man das Objekt immer wieder im Zusammenhang mit seiner progressiven, protofunktionalistischen materiellen Disposition, die durch ihre nüchterne, geometrisch-reduzierte Form ihrer Zeit voraus war. Obwohl der Architekt Waigant es in jungen Jahren, ganz zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn plante, ist das Gebäude durch seine glatten Flächen ohne Ausschmückungen im Vergleich zu seinen späteren Realisierungen um eine sehr fortschrittliche, wenn nicht sogar die Spitzenleistung im Werk des Architekten.
Im Jahr 1910 wurde der Regulierungsplan für die Häuserblocks rund um die Straßen, die man heute unter den Namen Gočárova třída und Čelakovského ulice kennt, ausgearbeitet. Schon damals wurde in der Umgebung gebaut. Im Sommer desselben Jahres kauften die Eheleute Juliš das Grundstück an der Ecke – mit dem Ziel, dort ein fünfgeschossiges Wohnhaus mit neun Wohnungen und Geschäftsräumlichkeiten im Erdgeschoss zu errichten. Der frühere, nicht signierte Entwurf des Bauwerks, der für den Antrag einer Baubewilligung ausgearbeitet wurde, unterscheidet sich stark von der späteren Realisierung. Nicht nur wurde die Gesamthöhe des Gebäudes um 40 cm gegenüber der vertraglich festgelegten Grenze überschritten, auch die Anzahl der Geschäfte im Erdgeschoss war höher. Außerdem wurde an der Fassade auf die reichhaltige Verzierung im Geist der geometrischen Moderne verzichtet. Im ursprünglichen Entwurf sind die Brüstungen der Fenster mit spiralförmigem Dekor künstlerisch ausgeschmückt. Die Fenster selbst, die Bestandteil enger, eleganter Arkaden waren, die sich senkrecht über alle Stockwerke nach oben zogen, weisen in der Realisierung ein verhältnismäßig massives Gesims auf, durch die das zweite und dritte Stockwerk voneinander getrennt sind. Im ersten Stock, oberhalb des Portals, das sich an der Ecke befindet, hätten sich ursprünglich Reliefs zweier Karyatidenpaare mit reichhaltigem vegetabilem Dekor (ein beliebtes Motiv des Bildhauers Antonín Waigant, dem Bruder des Architekten des Hauses) befinden sollen, die noch im Geiste des geometrischen Jugendstils gestaltet waren, wodurch dem Prager Bildhauer großer Raum eingeräumt worden wäre. Die Skulpturenverzierung wurde nicht in diesem Umfang realisiert, dennoch blieb die Basissubstanz des Gebäudes unverändert. Offen bleibt die Frage, aus welchem Grund es zu so deutlichen Veränderungen kam, dass die Fassaden (bis auf ein kleineres Relief beim Hauseingang) keine Verzierungen tragen und die geplante Ausgestaltung nicht realisiert wurde. Man kann vermuten, dass der Investor bzw. Autor ihre Meinung änderten, oder dass dies auf Empfehlung des erfahreneren Architekten Jan Kotěra geschehen ist. Kotěra führte die von ihm ausgebildeten Schüler nicht nur dazu, selbstständig zu arbeiten, er unterstützte sie auch in ihrer beruflichen Tätigkeit. Es ist naheliegend, dass Jan Kotěra dem Kaufmann Josef Juliš den damals fünfundzwanzigjährigen Waigant als Architekt vorschlug, der auch das Museum in Hradec Králové entworfen hatte, das damals gerade errichtet wurde. Auch die Möglichkeit, dass der Unternehmer den jungen Künstler durch seinen Bruder Antonín kennenlernte, ist nicht auszuschließen, denn Anotnín Waigant arbeitete hier im selben Jahr an einem Stuckdekor im Museum sowie an privaten Aufträgen.
Dominierender Akzent des ganzen Objektes, das mit glatten vertikalen Linien, puristischer Fassade und minimalen Ausdrucksmitteln konzipiert wurde, ist die abgerundete, Ecke mit aufgesetztem turmförmigem Tambour, deren Gerippe der damaligen Ausdrucksweise der geometrischen Moderne entsprach. Hinsichtlich der räumlichen Auffassung musste sich Waigant an die trapezförmige, asymmetrische Form der Parzelle anpassen, durch die sowohl Raum für die Entwicklung der dominanten Ecke als auch der Flügel des Hauses entstand. Das Portal ist spezifisch durch seine massive, nuancierte Laibung und den hervortretenden Sturz; zu seiner rechten Seite befindet sich ein steinernes Relief mit Putti-Motiv, das ein Füllhorn in den Händen hält, rechts unten ist es signiert: Inv. A. Waigant. Die erste Achse oberhalb des Erdgeschosses nach oben bildet einen Erker, der bis zum Dach reicht. In der obersten Etage sind die von Waigant favorisierten Rundbogenfenster zu finden. Von der zweiten bis zur vierten Achse geht die Fassade wieder leicht zurück und die Fensteröffnungen sind an den Laibungen mit weißem Keramikbelag eingefasst. Der massive, schwere Eindruck des Hauses wird durch die Verwendung vertikaler Elemente ausgeglichen, die am ehesten im Erker der Ecke in Form schlanker Halbsäulen (Dienste) und in den Linien der Fensterachsen zum Ausdruck kommen.
In den Wohneinheiten des Gebäudes ist der Eingangsbereich gleich nach der Eingangstür zur Gänze mit weißen Kacheln ausgelegt; an seinem Ende befindet sich eine zweiflügelige Holztür mit abgeschliffenem Glas. Das Messinggeländer ist sehr gut erhalten. Es verfügt über dekorative spiralförmig gegossene Elemente, auch an einigen Fenstern sind olivenförmige Messingklinken erhalten.
Im Februar 1934 erhielt die Versicherungsbank Slavia die Geschäftsräumlichkeiten von der Mährisch-Schlesischen Bank, die dort zehn Jahre untergebracht war. Die Firmenaufschrift „Slavia, pojišťovací banka“ (dt. Slavia, Versicherungsbank) war am Dach Richtung des kleinen Platzes angebracht. Die Aufschrift wurde vermutlich in den 50er Jahren durch einen fünfzackigen roten Stern ersetzt, der von der Mitte des Tambours bis ins Jahr 1990 „herableuchtete“. Anfang der 80er Jahre wurde das Erdgeschoss rekonstruiert, danach hatte das staatliche Unternehmen Fotochema dort ein Geschäftslokal und Ausstellungsräumlichkeiten. Im letzten Jahrzehnt wurden erneut Renovierungen in den Geschäftsräumlichkeiten vorgenommen; seit dem Jahr 2015 werden diese von der Geschäfts- und Verkaufsabteilung des Klicpera-Theaters (Klicperovo divadlo) verwendet.
Die Risse in den Balkons wurden kürzlich provisorisch ausgebessert, ohne Rücksicht auf den Gesamteindruck; die straßenseitige Fassade befindet sich in äußert schlechtem Zustand. Zwar besitzt das Objekt noch seine ursprüngliche Form und Funktion, dennoch wartet es immer noch auf seinen Moment der Wiedergeburt und den Applaus der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Hradec Králové.
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Seit 1981 unter der Registernummer 23241/6-4523 als Kulturdenkmal eingetragen, befindet sich im denkmalgeschützten Teil der Stadt (MPZ).
- Archiv Muzea východních Čech v Hradci Králové, fotoarchiv čp. 479
- Archiv stavebního odboru Magistrátu města Hradce Králové, katastr H. K., čp. 479
- Státní okresní archiv Hradec Králové, fond: Berní správa, katastr Hradec Králové, čp. 479 užitá pro soupis architektury
- Salma Soppe, Architekt Bohumil Waigant (1885–1930) (rigorózní práce), Katedra dějin umění a kulturního dědictví FF Ostravské univerzity, Ostrava 2013
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Karel Herain, Ulrichův Hradec Králové, Umění, 1930, roč. III, s. 289–356
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Marie Benešová, Česká architektura v proměnách dvou století 1780–1980, Praha 1984
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Marie Benešová; František Toman; Jan Jakl, Salón republiky: Moderní architektura Hradce Králové, Hradec Králové 2000
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Jakub Potůček, Hradec Králové: Architektura a urbanismus, 1895–2009, Hradec Králové 2009