Karel Löwenbach, Sohn des bekannten jüdischen Fabrikanten Julius Löwenbach aus Hronov, gab Ende der dreißiger Jahre den Auftrag zum Bau eines luxuriösen Mietshauses in unmittelbarer Nähe einer erst kürzlich fertiggestellten Dominante – dem Gebäude der Priester-Ambrož-Gemeinde. Das Projekt wurde vom Architekten Heinrich (Jindřich) Kulka ausgearbeitet, der durch seine Familie mit der Stadt Hradec Králové verbunden war und der vor allem als Schüler und Mitarbeiter des berühmten österreichischen Architekten Adolf Loos bekannt wurde. Von seinem Lehrer übernahm er eine Reihe architektonischer „Prinzipien“ und Methoden, die auch bei diesem Gebäude auszumachen sind.
Die kaskadenförmige Gestalt des vierstöckigen Hauses plante der Architekt mit Rücksichtnahme auf die komplizierte raumplanerische Situation, die nicht nur durch die bereits erwähnte Nähe zum Areal der Priester-Ambrož-Gemeinde bedingt war, sondern auch durch die Tatsache, dass dieses exponierte Eckhaus von einem als Park angelegten Hof umgeben ist und die Fassade deshalb von allen Seiten repräsentativ sein musste. Kulka glich den niedrigeren zweistöckigen Bereich, dessen Fassade abwechselnd von Fenstern und Loggias unterteilt wird, in Bezug auf Höhe und Breite an das gegenüberliegende Bauwerk der Kirchengemeinde an, das über Sichtmauerwerk verfügt. Im Erdgeschoss des Mietshauses befinden sich leicht nach hinten versetzte Geschäftslokale (ursprünglich wollte man hier Garagen errichten). Das oberste vierte Stockwerk hätte hingegen auf einer Ebene mit dem anschließenden Mietshaus liegen sollen; das mittlere (dritte) Stockwerk sorgt als Zwischenglied für einen fließenden Übergang. Die so entstandenen Stufen wurden als Terrassen genutzt, sie verfügen über Röhrengeländer, ein im Funktionalismus sehr beliebtes Element. Der Architekt František Čížek verwendete für das gegenüberliegende, spiegelverkehrt ausgestaltete Mietshaus von Theodor Kyzlar eine ganz ähnliche Graduierung von Masse, was dafür sorgt, dass der Übergang zum Hofbereich etwas angenehmer und weniger hart ausfällt.
Das einfache Skelett aus Stahlbeton und die einfache, helle Fassade erwecken auf den ersten Blick nicht den Eindruck, dass das Interieur des Hauses besonders gestaltet sein könnte. Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch erkennen, dass die Fenster ungewöhnlich groß sind. Ein weiteres Spezifikum ist die Marmorverkleidung des Erkers, wo sich der Haupteingang befindet, die sich im Foyer und im Treppenhaus fortsetzt. Eben jener Aspekt ist einer der Grundsätze, die Kulka von Loos übernommenen hatte: Betont wird nicht das Exterieur, sondern das innere Leben des Hauses.
Die niedrigen Decken in den Gängen der Wohnungen (je weniger Licht ein Raum hat, desto weniger stark wirkt er) sind inspiriert durch Loos‘ Raumkonzept, dem sog. Raumplan. Dieser kommt auch in den auf mehreren Ebenen angeordneten Dreizimmerwohnungen im ersten Stock zum Ausdruck: der Privatbereich (Zimmer mit Bad) ist leicht erhöht und über drei Stufen zugänglich, „öffentliche“ Räume der Wohnung sind miteinander verbunden (Vor- und Wohnzimmer sind lediglich durch ein Geländer mit zwei Säulen getrennt). Diese atypische, luxuriöse Gestaltung des Interieurs trägt, wenn es nach der Meinung einiger Forscher geht, dazu bei, dass das Gefühl entsteht, als würde sich im Inneren des Mietshauses eine „Villa“ befinden. Eine weitere Anspielung auf Loos‘ Werk ist der spezielle, stufenhafte Verlauf an der Außenseite des Hauses, das auffällige Ähnlichkeiten zum Haus Scheu besitzt, einem von Adolf Loos entworfenen Terrassenhaus in Wien-Hietzing.
Nachdem die Bauarbeiten für das Mietshaus beendet waren, emigrierte Heinrich Kulka über Großbritannien nach Neuseeland, da er aufgrund seiner jüdischen Herkunft Angst vor Verfolgung hatte. Karel Löwenbach wurde im Jahr 1942 nach Theresienstadt (Terezín) deportiert, ein Jahr später starb er im Konzentrationslager Auschwitz.
Heute wird das Haus als symbolischer Meilenstein für die außerordentliche Entwicklung der Stadt in Bezug auf Raumplanung und Architektur zur Zeit des sog. Salons der Republik rund um die Gründung eines selbständigen tschechoslowakischen Staates wahrgenommen. Erfreulich ist, dass es sich immer noch in sehr gutem Zustand befindet und keine starken baulichen Veränderungen unternommen wurden, die ursprüngliche Marmorverkleidung und der Personenaufzug sowie weitere ursprüngliche Elemente sind erhalten geblieben. Die eigene Wohnung der Familie Löwenbach blieb hingegen bis heute unterteilt; darüber hinaus stören Graffiti und überflüssige Reklameschilder im Erdgeschoss den puristischen Charakter des äußeren Erscheinungsbilds.
AW
Kein Kulturdenkmal, liegt im denkmalgeschützten Bereich der Stadt.
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