Seit dem Jahr 1897 waren die Vertreter von Gerbereiorganisationen um die Einrichtung einer eigenen Fachschule bemüht. Nach Misserfolgen bei den Wiener Ämtern nahm der Bürgermeister von Hradec Králové, František Ulrich, die Sache selbst in die Hand – unterstützt wurde er dabei von Rudolf Vitoušek, dem Bürgermeister von Třebechovice, Unternehmer und Vorsitzender der Sektion für Gerberei. Ulrich wurde zum Vorsitzenden des Vereins für die Errichtung der Gerbereischule ernannt und unterstützt den Antrag des Stadtrats auf Schenkung eines Baugrundstücks. Josef Binko, Gočárs Schwager und Gründer einer lokalen Filiale der Gerbereifirma Boskin, ist es zu verdanken, dass die Schule letztendlich umgesetzt wurde. Als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses war Binko 1924 bei den Anfängen aller fachlichen Gerberei-Organisationen und -Vereine an vorderster Stelle dabei.
Den Bau sowie die maschinelle Ausstattung bezahlten die Sektion für Gerberei des Zentralverbands der tschechoslowakischen Industriellen; die Innenausstattung wurde vom Staat erworben. Während die Bauarbeiten der Anglobank in vollem Gange waren, wurde Josef Gočár aufgefordert, sich an dem beschränkten Wettbewerb für die staatliche Fachschule für Gerberei zu beteiligen. Der Architekt reichte gleich vier Studien ein – vier alternative Projekte für dasselbe Konzept. Daraufhin forderte die Kommission den Architekten zur Ausarbeitung der Ausschreibungspläne auf, obwohl bei der ersten Begutachtung aller eingereichten Entwürfe „Gočárs allzu modernes Projekt keinen Anklang fand. (…) zugunsten der einwandfreien Funktion des zukünftigen Gebäudes vollbrachte es [Gočár], dass der Präsident der Republik bereits im Jahr 1923 den Direktor der noch nichtexistierenden Schule für Gerberei ernannte: Doc. Dr. techn. Bohdan Köhler, seines Zeichen Fachmann an der Spitze des Gerbereigewerbes, zögerte nicht und verließ die Brünner Technische Hochschule, um sich an dem Projekt von Beginn an und bis in alle Einzelheiten zu beteiligen.“
An diesem Schulgebäude ist eine Abwendung von der bisherigen, vom Rondokubismus geprägten Orientierung des Künstlers auszumachen, im Vordergrund steht der Zweck. Das Gesamtbild des Bauwerks wird auch vom niederländischen Architekturstil der klassischen Moderne beeinflusst, der sog. Amsterdamer Schule. Gočár selbst besuchte die Niederlande mit seinen Architekturstudenten von der Prager Akademie für Bildende Künste (AVU) im Jahr 1924.
Im Jahr 1922 einigte man sich im Ausschuss einstimmig auf ein Grundstück am linken Ufer der Orlice. Die Stadt Hradec Králové übermittelte die Parzelle durch Schenkung und finanzierte auch einen Teil der Baukosten. Josef Gočár ging im März 1923 als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Auf Drängen des Bürgermeisters Ulrich fiel die Wahl der Jury schließlich auf den Entwurf dieses Architekten. Auch der Architekt Oldřich Liska aus Hradec Králové und der Bauherr Josef Jihlavec nahmen am Wettbewerb teil. Die Bauarbeiten für das Schulgebäude begannen am 21. Mai 1923. Václav Nekvasil und Rudolf Schmidt, zwei Baumeister aus Hradec Králové führten die Bauarbeiten durch. Die Betonarbeiten übernahm Bohumír Hollmann aus Prag. Am 31. August 1924 wurde die Schule feierlich eröffnet. Problematisch war das Fundament des Gebäudes, das sich acht Meter unterhalb der Erde befindet. Die derart tief liegenden alten Befestigungsmauern sowie die historischen Kanäle mussten zerstört werden. Auf dem Schulgelände befinden sich das Hauptgebäude, ein Werkstattpavillon und die Villa des Direktors mit der Konskriptionsnummer 784, in der drei Wohnungen untergebracht sind, die alle nach Entwürfen Gočárs erbaut wurden.
Das dreigeschossige Hauptgebäude mit flachem Dach befindet sich an einer Straßenecke. Betont wird die Ecke durch das vertikale Treppenhaus mit turmartigem Aufbau. Das Gebäude besteht aus Sichtmauerwerk mit roten Ziegeln und ist in zwei Trakten angelegt. Das architektonische Konzept basiert auf Material- und Farbkontrasten des Sichtmauerwerks und der mit Zement verputzten Gesimse und Stürze. Das Hauptgebäude ist teilweise unterkellert; im Souterrain befinden sich Lager, eine Werkstatt und ein Teil der Zentralgarderobe. Das Treppenhaus und der Trakt mit den Klassenräumen sind durch Lisenen vertikal gegliedert; ein massives Attika-Gesims schließt die Fassade des Südflügels ab. Horizontale Gesimse gliedern den Risalit an der Ecke. An der Wandseite im Eingangsbereichs oberhalb des Eingangs befinden sich Doppelfenster. Die Fassade auf der Seite der Straße Brněnská ist in drei Bereiche geteilt: das turmförmige Treppenhaus an der Ecke, den daran anschließenden zweistöckigen Flügel, wo sich die Klassenzimmer befinden, und den Risalit im Erdgeschoss. Die Werkstatthallen im Erdgeschoss haben ein sehr technisches Erscheinungsbild: Tragepfeiler, Balken und Decken aus Stahlbeton. Dort befanden sich Werkstätten, Kabinette und ein Modellierraum.
Die Figuren des Gerbers und Kürschners am vorgesetzten Haupteingang gestaltete Josef Škoda 1930 im Stil des Säkularismus. An der Fassade der Werkstätten befindet sich ein Relief aus Sandstein, ebenfalls von Josef Škoda. Es zeigt zwei Löwen, die an einer Gerbereimaschine arbeiten.
Die Villa des Direktors ist ein eigenständiger Bau, zweckmäßig ausgerichtet und einfach angelegt, architektonisch bedeutet das Bauwerk einen bedeutenden Einschnitt in Gočárs bisherigem Schaffen. Man findet hier abermals eine Hinwendung zu Kotěras strengem Stil, zu einer Tektonik, inspiriert von der neueren niederländischen Architektur wie bei Berlage oder vor allem Dudok. Die Villa des Direktors wurde mit länglichem Grundriss entworfen, sie verfügt über einen vorgelagerten Eingangsbereich – ein quadratischer Risalit – sowie über ein Satteldach mit Dachfenstern. Das Haus wurde sparsam und simpel angelegt. Insgesamt befanden sich dort drei Wohnungen: zwei Einzimmerwohnungen im Erdgeschoss, jeweils für den Gerber- und Maschinenmeister und eine im Obergeschoss für den Direktor der Schule. Die beiden kleineren Wohnungen im Erdgeschoss verfügten über ein Vorzimmer, eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Badezimmer, eine Speisekammer und eine Toilette. Die Wohnung des Direktors erstreckte sich über das gesamte Obergeschoss, in ihr gab es ein Vorzimmer, ein Kabinett, eine Küche, ein südseitig ausgerichtetes Zimmer mit Pawlatsche, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Badezimmer, eine Speisekammer und eine Toilette. Die Wohnfläche des Zimmers betrug insgesamt ca. 170 m².
Das Hauptgebäude befindet sich an der Ecke und hat zwei Obergeschosse. In der Ecke mit turmartigem Aufbau befindet sich das Treppenhaus. Nach dem Eingangsbereich beginnt eine dreiläufige Treppe; sie verfügt über Pfeiler aus Sichtmauerwerk und ein schmiedeeisernes Geländer. Die Teilgebäude der Schule umschließen ein parkähnliches Atrium. Neben den Klassenräumen, Werkstätten, der eigenen Fabrik und dem Haus des Direktors verfügte das Areal auch über eine eigene Fachbibliothek und ein Gerbereimuseum. Im Souterrain befanden sich zwei Heizräume – in einem befand sich die Heizung, der andere diente der Erzeugung von Dampf für die Werkstätten.
Die Werkstätten, Kabinette, das Büro des Werkstattleiters und der Modellierraum befanden sich im Erdgeschoss, im ersten Stock waren Klassenräume und ein Zeichensaal untergebracht. Ein Gang im Südflügel verbindet den Werkstattpavillon im Erdgeschoss und im ersten Stock. Der erste und zweite Stock war nach demselben Grundriss wie das Erdgeschoss angelegt, und beide Stockwerke wurden zur Gänze für Klassenräume und Kabinette genutzt. Der turmartige Aufbau oberhalb des Treppenhauses ist durch eine Wendeltreppe aus dem zweiten Stock zugänglich. Ursprünglich befand sich hier ein Wasserbehälter mit einem Volumen von 10 mᶟ. Der einstöckige Werkstattpavillon ist senkrecht zum anliegenden Südflügel des Hauptgebäudes angebracht. Zum Atrium hin wird er von einem kurzen, eingeschossigen Flügel abgeschlossen. Im Souterrain waren die Garderoben der Werkstätten und die Waschräume untergebracht.
Im Inneren des Gebäudes befand sich eine Büste des Fabrikanten Rudolf Vitoušek, die der Bildhauer Otakar Ševc anfertigte, sie gilt als verschollen. Die Feier anlässlich der Eröffnung der Schule fand am 16. Januar 1929 statt. Bei der feierlichen Ansprache erinnerte der Wirtschaftsminister Ladislav Novák: „Als ich meinem Kollegen Rašín zum ersten Mal vom Bau dieser Schule erzählt habe, meinte er: ,Um Gottes Willen, ich bitte Sie, was denken die in Hradec sich noch alles aus?‘, kurz darauf musste er zugeben, dass so eine Schule notwendig sei.“
In der Schule wurden zwischen 1924 und 1949 Gerber und Kürschnermeister ausgebildet. Sie war die einzige Schule dieser Art in der gesamten Tschechoslowakischen Republik. Im Jahr 1949 wurde die Schule geschlossen und nach Zlín verlegt, damals das industrielle Zentrum für Lederverarbeitung. Im Objekt war fortan die Höhere Schule für Maschinenbau untergebracht. Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurden Anbauten errichtet – ein gläserner Eingangsbereich, eine Turnhalle, Garderoben, Labors, ein weiterer Pavillon, neue Werkstätten, Waschräume, eine Wohnung für den Schulwart, u. a. Der hohe Schornstein vor dem Südflügel wurde im Jahr 1950 abgerissen. Im Jahr 1988 begann man mit dem Bau neuer Werkstätten am südlichen Rand des Areals; sie wurden von der Gesellschaft Stavoprojekt durchgeführt. Die An- und Umbauten entwarf der Architekt Karel Schmied aus Hradec Králové. Die Schule für Maschinenbau ist nach wie vor in dem Gebäude untergebracht. Die Villa des Direktors dient heute als Sitz des Direktors der Schule. Sie ist durch ein System aus Gängen mit den anderen Schulgebäuden verbunden.
ZH
Seit 1964 unter der Registernummer 30143/6-562 als Kulturdenkmal eingetragen, befindet sich in der Denkmalschutzzone der Stadt (MPR).
- Archiv stavebního odboru Magistrátu města Hradec Králové, katastr HK, čp. 784, čp. 647, evidenční list kulturní památky
- NPÚ, Územní odborné pracoviště v Pardubicích, evidenční karta č. 30143/6-562
- Archiv architektury a stavitelství Národní technické muzeum Praha, fond Josef Gočár, ev. č. 14, Koželužská škola v Hradci Králové
- Státní okresní archiv Hradec Králové, fond Státní odborná škola koželužská, Stavební plány školní budovy a villy, inv. č. 203, kt. 7
- Státní okresní archiv Hradec Králové, fond Státní odborná škola koželužská, Práce zadané jednotlivým firmám, inv. č. 204, kt. 8
- Státní okresní archiv Hradec Králové, fond Berní správa HK, čp. 784
- Archiv Muzea východních Čech v Hradci Králové, fond Hradecensia, sbírková řada HK/01
- Ilona Matysová, Vily a rodinné domy Josefa Gočára (diplomová práce), Univerzita Palackého Olomouc, Olomouc 2014, s. 188–197
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Památník k odevzdání budov koželužské Sekcí průmyslu koželužského při Ústředním svazu československých průmyslníků a k otevření Státní odborné školy koželužské v Hradci Králové dne 31. srpna 1924, Hradec Králové, 1924
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Slavnost ve státní odborné koželužské škole, Osvěta lidu, 1929, roč. XXXII, č. 6, 19. 1. 1929, s. 2
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Bohdan Köhler, Státní odborná škola koželužská v Hradci Králové, Královéhradecko, 1931, č. 3, s. 29
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Jakub Potůček, Hradec Králové: Architektura a urbanismus 1895–2009, Hradec Králové 2009, s. 67–68
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Jindřich Bořecký; Ivan Exner; Martin Novotný; Tomáš Novotný, Josef Gočár, Otakar Novotný, Praha 2011, s. 76
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Daniela Karasová; Jiří Kotalík; Zdeněk Lukeš; Pavel Panoch, Josef Gočár, Praha 2010, s. 128–133
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Jiří Zikmund; Ladislav Zikmund-Lender (eds.), Architektura Hradce Králové na fotogtrafiích Josefa Sudka, Hradec Králové 2014, s. 93–95
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Ladislav Zikmund-Lender, Struktura města v zeleni: Moderní architektura v Hradci Králové, Hradec Králové 2017, s. 191