Die Architekten Jindřich Freiwald und Jaroslav Böhm, die gemeinsam ein Architekturbüro leiteten, arbeiteten an einer Vielzahl von Projekten, die auf dem tschechischen Land gebaut wurden. Freiwald absolvierte eine Fachhochschule in Prag. Sein Universitätsstudium wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen: Zunächst studierte er in den Jahren 1913–1915, und nach seiner Rückkehr vom Militärdienst studierte er 1917–1918 an der Architekturfachschule von Jan Kotěra an der Akademie der bildenden Künste [1]. Kotěra betrachtete Freiwald als einen seiner talentiertesten Studenten und empfahl ihn Bürgermeister František Ulrich als Mitglied der neuen Architektengeneration, um an der Entwicklung von Hradec Králové zu arbeiten. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg entwarf Freiwald die Fassade des Hotels Start und ein nicht realisiertes Mietshaus. Nach dem Krieg arbeitete er für Baugenossenschaften, Banken und private Eigentümer in Hradec Králové.
An wichtigeren Projekten arbeitete Jindřich Freiwald jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1919 entwarf er Reihenhäuser für die Prager Villenkolonie Ořechovka in den Straßen Klidná (Konskriptionsnr. 288–299 und 337–340 und Dělostřelecká (Konskriptionsnr. 264–271 und 341–350). In Prag entwarf er die Genossenschaftskolonie in der Straße Na Perníkářce, in Hradec Králové schließlich Wohnhäuser mit Genossenschaftswohnungen in der Straße Čelakovského (1920). In den frühen 1920er Jahren arbeitete Freiwald mit Jaroslav Böhm zusammen und konzentrierte sich in erster Linie auf die Entwicklung idealer Grundrisse und dekorativer Formen erschwinglichen Wohnens und die Gestaltung idealer Duplex- und Fourplex-Wohnungen (geplant für die Stadt Opava) [2]. Freiwald und Böhm schufen eine originelle Synthese streng modernistischer Merkmale, die von Kotěras Schule vor dem Ersten Weltkrieg gefördert wurden und die aus traditioneller Architektur, regionalen Quellen und historischer Architektur stammen. Beispiele sind Einfamilienhäuser und Reihenhäuser in Kolín (Konskriptionsnr. 19–23), Sušice (Stadtviertel Benátky, 1924), Duchcov (1922–1924) sowie Wettbewerbe für Typhäuser im Prager Stadtteil Spořilov (1925) und in der Stadt Mělník (1927) ). Alle wurden in unterschiedlichen Variationen in der repräsentativen Publikation Naše stavby (Unsere Bauwerke) [3] veröffentlicht. Freiwald plante auch Villen, zum Beispiel die Villa des Fabrikanten Ganz in Pardubice (Jahnova, Konskriptionsnr. 9, 1921) oder die Villa von Schwarzkopf in Sušice (T. G. Masaryka, Konskriptionsnr. 154/II, 1925–1930). Die Villa des Fabrikanten Nejedlý und seiner Familie in Kukleny bei Hradec Králové (Entwurf von 1923 bis 1924) wurde nie gebaut.
Ende 1920 begannen sich Freiwald und Böhms Atelier darauf zu konzentrieren, große öffentliche Gebäude für Kleinstädte zu entwerfen: Sparkassen und andere Banken, Theater, Kirchen und Schulen. Freiwald erwies sich bei diesen Entwürfen als ausreichend variabler Architekt, der sowohl konservativen als auch progressiven Ansprüchen der Bauherren gerecht werden konnte. Sein wahrscheinlich konservativstes Projekt war das Theater in Hronov (1927–1930) mit einer Aedikula-Fassade und einem klassisch segmentierten Architrav. Die Theater in Chrudim (1931–1934) und Kolín (1937–1939) verbanden die angedeutete, monumentale Formsprache mit modernistsicher Grammatik (abwechselnd glatte Oberflächen und solche mit Sichtmauerwerk). Wie die Sparkassen umfassten die Theatergebäude eine breite Palette von Formen: von den dekorativen (Kolín, 1923–1925) und monumentalen (Nové Město nad Metují, 1929–1930 und Hronov, 1936–1939) bis zu den überwiegend modernen (Libochovcie, 1934; Polička, 1936–1937 und Mělník, 1937–1938). Moderne, monumentale Formen verwendeten Freiwald un Böhm auch bei der Gestaltung der Gewerbeschule in Sušice (1929–1930). Beim Entwurf der tschechoslowakischen Hussitenkirche in Nové Město nad Metují (1933–1934) wurden progressive avantgardistische Formen verwendet, die an Sakralprojekte ihrer Zeitgenossen Josef Gočár und Pavel Janák erinnern.
Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Jindřich Freiwald nicht an Entwürfen, sondern verfasste einen typologischen Leitfaden über moderne Bauwerke für sog. „Zweitwohnsitze“ – Hütten und Wochenendhäuser auf dem Land, der 1947 posthum veröffentlicht wurde [4]. Freiwald starb während der Befreiung von Prag am 8. Mai 1945.
Der Architekturhistoriker Martin Horáček beschrieb Freiwalds Tätigkeiten vermutlich am besten. Laut Horáček können die Entwürfe von Freiwald und Böhms „alle Stile einbeziehen, vom geometrischen Jugendstil über den Rondokubismus und den Funktionalismus und die Neue Tradition bis hin zur regionalen Volksarchitektur. Das Studio repräsentierte einen anständigen Standard; die Ausstattung ihrer Familienhäuser und Infrastruktur-Gebäude ist heute in vielen tschechischen Kleinstädten zu finden.“[5]
LZL
Anmerkungen
[1] Vgl. Ladislav Zikmund-Lender, Struktura města v zeleni: Moderní architektura v Hradci Králové, Hradec Králové 2017, S. 121
[2] Vgl. Pavel Vlček (Hg.), Encyklopedie architektů, stavitelů, zedníků a kameníků v Čechách, Praha 2004, s. 185
[3] Jindřich Freiwald; Jaroslav Böhm, Naše stavby, Praha 1924.
[4] Jindřich Freiwald, Chaty, sruby, domky: zásady rekreačního bydlení, Praha 1947
[5] Martin Horáček, Za krásnější svět: tradicionalismus v architektuře 20. a 21. století, Brno 2013, s. 236-237
čp. (číslo popisné) – Konskriptionsnummer, ein während der Monarchie eingeführtes System der Nummerierung von Gebäuden (im Unterschied zur Orientierungs- bzw. Hausnummer)
Selbständige Projekte:
1912
Villa R. T. in Tábor
1914
Fassade des Hotels Start in Hradec Králové
1919
Kolonie Ořechovka in Praze, Klidná, čp. 288–299, 337–340, Dělostřelecká čp. 264–271, 341–350
Projekte mit Jaroslav Böhm:
1921–1922
Genossenschaftswohnungen in Hradec Králové, Čelakovského und K. H. Máchy čp. 637–639
1921
Familienvilla des Fabrikanten Ganz in Pardubice
1921–1923
Genossenschaftswohnungen, Siedlung „Na Perníkářce“, Prag-Smíchov
1921–1923
Mietshäuser „Na Hradbách" in Kolín
1921–1923
Siedlung „U Matky Boží“ v Lounech
1921–1923
Städtische Familienhäuser „Na Zálabí" in Kolín
1921–1923
Staatliche Siedlung in Chust in der Karpato-Ukraine (damals Tschechoslowakei, heute Ukraine)
1921–1923
Häuser in der Hauptstadt Uschhorod in der Karpato-Ukraine (damals Tschechoslowakei, heute Ukraine)
1922
Haus des Tierarztes Hostýnek in Pardubice, Štrossova čp. 126
1922–1923
Mietshaus der Eheleute Kratochvíl in Pardubicích, Havlíčkova čp. 1000
1922–1924
Siedlung in Duchcov, Straßen Dělnická und Družby
1923–1924
Städtische Wohnhäuser „Na Zálabí" in Kolín, Straßen U Borků 678–686, U Hřiště, Sadová
1923–1924
Sparkasse in Kolín, Karlovo nám. čp. 44
1923–1924
Kauf- und Bürogebäude in Pardubice, Havlíčkova čp. 1035, 1040
1924
Häuerkomplex „Benátky“ in Sušice
1924–1926
Mietshäuser in Pardubice, nám. Čs. Legií čp. 1113, 1114, 1080
1925–1930
Villa Schwarzkopf in Sušice, T. G. Masaryka čp. 154/II
1926–1930
Sparkasse in Sušice, Poštovní 8
1926–1930
Postamt in Sušice
1927
Bergbaukolonie in Rtyně nad Bílinou, čp. 90–107
1927–1930
Jirásek-Theater in Hronov, nám. Čs. armády čp. 500
1927–1932
Verwaltungs- und Wohnhaus der Versicherung První vzájemné pojišťovny in Hradec Králové, Kotěrova čp. 828 und Divišova čp. 829
1928–1929
Städtische Sparkasse in Červený Kostelec, nám. T. G. Masaryka, čp. 120
1928–1929
Tschechische Sparkasse in Nové Město nad Metují, Komenského 30, (1928-1929)
1929–1930
Gewerbeschule in Sušice, Poštovní 9
1930
Nationalbank in Tábor, Tyršova čp. 521
1930–1934
Theater in Chrudim, Československých partyzánů 6
1931
Občanská záložna ve Strakonice, Na Stáži čp. 270
1931–1939
Städtisches Theater in Kolín, Smetanova čp. 557
1932
Sparkasse in Bystřice nad Pernštejnem, Masarykovo náměstí čp. 298
1933
Städtische Sparkasse in Dobruška, nám. Františka Ladislava Věka 11
1933–1934
Hussitische Kirche in Nové Město nad Metují
1933–1934
Städtische Sparkasse in Úpice
1933–1934
Sparkasse in Písek, Velké nám. 27/19
1933–1937
Sparkasse in Olešov, nám. Dr. E. Beneše 24
1934
Sparkasse in Libochovice, nám. 5. května 47
1934–1936
Kreissparkasse in Bystřice pod Pernštejnem, Masarykovo náměstí 57
1935
Kreissparkasse in Sobotka, Boleslavská 440
1935–1936
Sparkasse in Luhačovice, nám. 28. října
1935–1936
Sparkasse der Stadt Klatovy, nám. Míru čp. 1, Křížová čp. 166–167
1936
Sparkasse in Železný Brod, nám. 3. května 37
1936–1937
Städtische Sparkasse in Polička, Palackého nám. 184
1936–1939
Städtische Sparkasse in Hronov
1937–1938
Sparkasse in Mělník
1938
Sparkasse und Hotel in Jevíček, Palackého nám. 12
1938
Agrarbank in Hradec Králové, ul. Havlíčkova čp. 292
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Jindřich Freiwald; Jaroslav Böhm, Naše stavby, Praha 1924
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Pavel Vlček (ed.), Encyklopedie architektů, stavitelů, zedníků a kameníků v Čechách, Praha 2004, s.184–185
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Alžběta Jankulíková, Jindřich Freiwald a česká meziválečná divadelní architektura, diplomová práce, Filozofická fakulta UK v Praze, Ústav pro dějiny umění, Praha 2014
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Jakub Potůček; Vendula Potůčková, Slavné stavby Jindřicha Freiwalda, Praha 2015
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Ladislav Zikmund-Lender, Struktura města v zeleni: Moderní architektura v Hradci Králové, Hradec Králové 2017, s. 110–127
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http://www.arch-pavouk.cz/index.php/architekti/663-freiwald-jindrich, vyhledáno 5. 2. 2019