Bohumil Waigant wurde am 26. 1. 1885 in der Prager Altstadt geboren. Auch seine Kindheit verbrachte er hier. Er hatte einen fünf Jahre älteren Bruder, Antonín (* 1880, + 1918), der später als erfolgreicher Bildhauer tätig war und mit dem er intensiv zusammenarbeitete. Bohumil Waigant begann aus Interesse für Modellierung zunächst das Studium der Bildhauerei bei Josef Pakárek und Karel Novák in Prag, um später beim Bildhauer Stanislav Suchard an der Kunstgewerbeschule weiterzumachen, wo er auch auch das Atelier für Malerei bei Karel Vítězslav Mašek besuchte. Waigant vollendte seine künstlerische Ausbildung schließlich mit zwei Jahren (1907–1909) an der heutigen Akademie für Architektur, Kunst und Design und lerne beim Architekten Jan Kotěra dekorative Architektur. Und ebendort haben sich die Wege für seine spätere Karriere geebnet. Sein erster Entwurf wurde bereits im Jahr 1908 realisiert, als er gerade einmal 23 Jahre alt war. Es handelte sich um ein Projekt, das Waigant gemeinsam mit dem Architekten Emil Králiček entwickelte: ein elegantes Zinshaus im Jungendstil, das sich in der Kladská im Prager Stadtviertel Vinohrady befindet. Danach folgten Waigants erste zur Gänze allein ausgearbeitete Projekte, nämlich zwei Zinshäuser in der Chopinova (ebenfalls in Vinohrady), die an das Laichter-haus von Jan Kotěra anschließen und als Vorzeigebeispiel für die tschechische Moderne gelten. Darüber hinaus sind sie mit Statuen von Bohumil Waigants Bruder Antonín verziert.
Meisterhafte Vorbereitung war für den Architekten nicht nur in Bezug auf künstlerische, sondern auch professionelle Aspekte entscheidend. Bald bekam er die Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit Kotěra für die Errichtung eines Museums in Hradec Králové, bei der den Auftrag bekam, die Realisierung zu beaufsichtigen. Waigant war ab Oktober 1910 in Hradec Králové tätig, und neben einem Praktikum im Städtischen Museum perfektionierte er sein künstlerisches Geschick beim Bauunternehmer Robert Schmit, für den er 15 Monate arbeitete. Danach kehrte er zu seinem Lehrer Kotěra nach Prag zurück. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg war er ab 1916 kurzzeitig bei mehreren führend Bauunternehmen in Prag angestellt, unter anderem bei Prof. Friedrich Kick, einem Schüler von Otto Wagner und dem einzigen Lehrenden, der an der deutschsprachigen Technischen Universität in Prag moderne Architektur unterrichtete.
In der ostböhmischen Metropole Hradec Králové hinterließ Waigant die meisten seiner Bauwerke (insgesamt sechs Realisierungen, einige Projekte, Renovierungen von Interieur oder Ausstattung). Diese Serie geht zurück auf ein großzügiges Angebot des Kaufmanns Josef Juliš, für den der Architekt an der Adresse Gočárova třída 479 ein Wohnhaus mit Geschäftsflächen konzipierte, das europaweit mit anderen Bauten aus jener Zeit auf einer Ebene steht. An dieses Projekt anschließend entstanden weitere Realisierungen, die monumentaler und traditioneller ausfallen. Er wandte sich ab von modernen und progressiven Elementen, durch welche Waigants Projekte zu herausragenden Beispielen für Architektur der geometrischen Moderne der Jahre 1908-1911 gehörten. Was den Architekten zu dieser plötzlichen stilistischen Wendung brachte, ist unklar.[1] Waigants künstlerische Entwicklung lässt sich nicht klar nachvollziehen und ist von Widersprüchen durchzogen. Sein architektonisches Werk ist nicht kompositorisch abgeschlossen, dennoch bildete Kotěras architektonischer Rationalismus die Basis für alle stilistischen Register, deren er sich bediente. Angefangen beim geometrischen Jugendstil über den Klassizismus und bis zum frühen Purismus am Ende – Kotěras Einfluss ist bei Waigants zahlreichen Bauten stets auszumachen. 1310
Die Erforschung von Waigants Prager Projekten ist relativ kompliziert. Es gilt als wahrscheinlich, dass sich der Architekt entweder alleine oder auch in Zusammenarbeit mit seinem Bruder an der Ausgestaltung einer größeren Anzahl an Hausfassaden beteiligte. Hilfreich bei der Bestimmung der Autorschaft sind Motive, die bei Waigants Entwürfen wiederholt zu finden sind. Häufig bediente er sich spiralenförmiger Ornamente und starker Fensterumrahmungen; er kombinierte freiliegendes und verputztes Mauerwerk sowie konkav und konvex geformte Bereiche der Fassade. Außerdem findet man Kassettierungen an der Unterseite des Gesimses und Kannelierungen der Bereiche zwischen den Fenstern sowie Figuren- oder Reliefplastiken zur Verzierung. Letzteres wurde von Antonín Waigant, dem Bruder des Architekten, entworfen. Der Architekt selbst erlangte auch als Innenarchitekt einen guten Ruf. Sein Talent hinsichtlich der Projektierung von Möbeln belegen elegante Innenausstattungen und Möbel, die schlicht geometrisch konzipiert wurden und keine Verzierungen aufweisen. Um räumliche Effekte zu erzielen, verwendete Waigant gern Wandmalereien mit stilisierten Blütenmotiven, die in den Gängen der Zinshäuser angebracht wurden. In einigen Privatwohnungen sind auch Kassettendecken oder holzverkleidete Wände zu finden. Große Bedeutung hatten bei Waigant auch künstlerisch wertvolle, handwerklich hergestellte Ergänzungen, wie etwa Treppengeländer, Leuchten, stilisierte Wandmalereien u. Ä.
Waigants Leben nahm Anfang Mai 1919 eine dramatische Wendung, als berufliche Gründe den gebürtigen Prager in den Osten des Landes, nach Prešov in der heutigen Slowakei, führten.[2] In der dortigen Staatlichen Gewerbeschule war er neun Jahre lang als Lehrer für das Fach Kunsthandwerk tätig. Trotz der Entfernung zum baulichen Geschehen in seinem heimischen Umfeld, wo architektonische Wettbewerbe ausgeschrieben wurden und sich seine beruflichen Kontakte Informationen austauschten, war Waigant darum bemüht, in seinem künstlerischen Schaffen aktiv zu bleiben. Das belegen nicht nur seine Teilnahme an einigen tschechischen Architekturwettbewerben, sondern auch Studienreisen nach Frankreich und Deutschland. Während seines Wirkens im Osten der Tschechoslowakischen Republik heiratete er eine tschechische Professorin für Zeichnen, später kam ihr gemeinsamer Sohn, Waigants einziger Nachkomme, in Košice zur Welt. Nach Vollendung seiner Tätigkeit als „Aufklärer“ kehrte der Architekt gemeinsam mit seiner Familie zurück nach Böhmen, nach Hradec Králové, in die Stadt seiner Jugend, wo ihm die ersten vielversprechenden Arbeitsaufträge und Anerkennung in Künstler- und Unternehmerkreisen zu Teil wurden. Auch nach seiner Rückkehr bot man Waigant Gelegenheit, seine künstlerischen Vorstellungen zu realisieren. Im Jahr 1928 begann er unter anderem an der zweijährigen Schule für Bau- und Möbeltischlerei das Fach Geometrisches Zeichnen zu unterrichten.
Waigant versprach sich viel von der geplanten Errichtung modernen Stadtviertel, die für Anfang der 1930er Jahre vorbereitet wurde. „Er freute sich, dass er mit seiner Arbeit einen Beitrag zum modernen Antlitz neuer Stadtteile beitragen kann“[3] Die Regulierung der Prager und der Schlesischen Vorstadt (Pražské bzw. Slezské Předměstí), die Erneuerung der heutigen Gočárova-Straße (Gočárova třída), die Entstehung einer neuen Anlage am Elisenkai (Eliščino nábřeží) und mehr – all diese Veränderungen konnte der Architekt nicht mehr miterleben. Bohumil Waigant starb am 17. August 1930 unerwartet in seinem Haus an der Adresse Divišova ulice in Hradec Králové.
Die meisten der Werke des Architekten zeichnen sich durch Fortschritt, konstruktive Einfachheit, materielle sowie gestalterische Solidität und kultivierte, noble Erscheinung aus und liefern einen Beweis für seine außergewöhnliche künstlerische Begabung. Einige seiner Projekte zählen ohne Zweifel zu den allerbesten Werken der tschechischen Architektur der Moderne aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.
SS
Anmerkungen
[1] Hier muss hinzugefügt werden, dass klassizistische Tendenzen durch ihren Verweis auf die Antike oft einen Ausweg aus der tektonischen und rationalistischen Krise boten und um das Jahr 1910 auch bei führenden europäischen und tschechischen Vertretern der Architektur der Moderne zu finden sind, etwa bei Peter Beherens, Josef Maria Olbrich, Jan Kotěra, Josef Hoffmann und vielen weiteren.
[2] Waigant war einer von vielen Tschechinnen und Tschechen, die nach der Änderung der staatsrechtlichen Grundlagen im Jahr 1918 in die Slowakei gingen und mithalfen, den gemeinsamen Staataufzubauen, dem es bis dato an ausreichend Gebildeten für die öffentliche Verwaltung fehlte.
[3] Ladislav Khas, Za architektem B. Waigantem, Osvěta lidu XXXIII, 1930, Nr. 57, 23. 8., S. 4
1907-1908
Wohnhaus, Kladská 1462, Praha – Vinohrady, (gemeinsam mit E. Králíček)
1908
Pavillon des Fachschulwesens und Esszimmer-Möbelserie für die Jubiläumsausstellung, Praha
1909
Schulentwürfe für eine Villa und einen Ausstellungspavillon
Wohnhaus, Chopinova 1564, Praha – Vinohrady
Wohnhaus, Chopinova 1556, Praha – Vinohrady
1910
Wohn- und Kaufhaus, Gočárova tř. 479, Hradec Králové
Wohnhaus-Entwurf, Gočárova tř. 480, Hradec Králové
1911
Wohn- und Kaufhaus, Švehlova 512, Hradec Králové
Entwurf für das Kaufhaus Barth
Entwurf eines Zinshauses für einen Industriellen aus dem Prager Stadtviertel Karlín
1912
Dekoration des Theatersaals des Rathauses der Stadt Hořice v Podkrkonoší, Böhmen
1913
Wohnhaus, tř. ČSA 543, Hradec Králové
1914
Wohnhaus, tř. ČSA 556, Hradec Králové
1922
Entwurf für die Bürgerschule in Lanžhot, Mähren (3. Platz im Wettbewerb)
1924-27
16teiliges Esszimmer-Möbelset, Prešov, Slowakei
20er Jahre Projekt:
Bauernsparkasse in Košice
1927
Innenausstattung der Bank für Handel und Industrie, Hradec Králové, nicht erhalten
1928
Wohnhaus, Divišova 757, Hradec Králové
Innenausstattung einer Schule und Grabsteine für die Ausstellung für zeitgenössische Kunst, Brno
Entwurf einer Stadtsparkasse, Hradec Králové
Renovierung der Innenräume des Nationalklubs (Národní klub), tř. ČSA 543, Hradec Králové, nicht erhalten
1929
Familienvilla, Čechova 759, Hradec Králové
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Karel Herain, Ulrichův Hradec Králové, Umění III, 1930, s. 289–356
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JES [Jan E. Svoboda], heslo Waigant Bohumil, in: Anděla Horová (ed.), Nová encyklopedie českého výtvarného umění II, Praha 1995, s. 932
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Ladislav Khas, Za architektem B. Waigantem, Osvěta lidu XXXIII, 1930, č. 57, 23. 8., s. 4
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Zdeněk Lukeš, Architekt B. Waigant, Umění XXXIII, 1985, č. 5, s. 467–469
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Jan E. Svoboda, Neznámí známí: bratři Waigantové, Umění XXXX, 1994, č. 6, s. 474–479
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PV [Pavel Vlček], heslo Waigant Bohumil, in: Pavel Vlček (ed.), Encyklopedie architektů, stavitelů, zedníků a kameníků v Čechách, Praha 2004, s. 705
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Z. W. [Zdeněk Wirth], Nekrolog – Bohumil Waigant, Umění III, 1930, s. 476
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Za hradeckým prof. arch. Bohumilem Waigantem, Kraj královéhradecký XXI, 1930, č. 54, 23. 8. 1930, s. 1