Hubert Gessner, gebürtig aus Valašské Klobouky, besuchte zwischen 1885 und 1889 in Brünn eine technische Mittelschule, in der Adolf Loos sein Klassenkamerad war. Nach seiner Ausbildung in den Städten Opava und in Moravská Ostrava studierte er von 1894 bis 1898 im Atelier von Otto Wagner an der Akademie der bildenden Künste in Wien; zu seinen Studienkollegen zählten Josef Hoffmann, Jan Kotěra und Jože Plečnik. Gessner arbeitete nach seinem Abschluss in Otto Wagners Atelier, zwischen 1899 und 1918 war er bei der Brünner Landesbaubehörde angestellt. 1904–1912 arbeitete er zusammen mit seinem Bruder, dem Architekten Franz Gessner, für ein Architekturbüro in Wien. Zwischen 1896 und 1905 entwarf er eine Reihe von Gebäuden in Böhmen und Mähren. Sein erstes Projekt war die Villa Bratman Villa in Valašské Klobouky (Konskriptionsnr. 116), wo er später auch das sogenannte Horný-Haus (Konskriptionsnr. 189) entwarf. Während seines Engagements in Brünn entwarf er das Gebäude der Bezirkskrankenkasse im Brünner Stadtteil Zábrdovice (1903–1904), das städtische Bad und ein Sanatorium (beides 1905). In Schlesien entwarf Gessner auch Hotelgebäude: das Hotel Hotel Slezský dvůr in Opava (1903) und das Hotel Jindřichův dvůr Hotel in Nový Jičín (1906). Um 1900 arbeitete er mit seinem ehemaligen Klassenkameraden der Wiener Akademie, dem Architekten Otokar Bém, der zu dieser Zeit in Ostrava lebte und arbeitete. Gemeinsam entwarfen sie das Gebäude der Handelsakademie in Hradec Králové und das Horný-Haus in Valašské Klobouky.
Vor dem Ersten Weltkrieg arbeitete Gessner an Projekten für die Sozialdemokratische Partei: dem Hauptquartier in Wien (zusammen mit dem Arbeiterhaus und dem Gebäude des Parteiverlags Vorwärts) und in Graz, wo die Reaktion der sozialdemokratischen Parteizeitung Arbeiterwille ihren Sitz hatte (beide 1910–1912). Außerdem entwarf er die Konsumgenossenschaften in der Wolfganggasse (1908–1909) und in der Neudorferstraße (1914). Vor dem Krieg baute Gessner auch eine Reihe von Wohn- und Genossenschaftshäusern, zum Beispiel die Wohnsiedlung Liesing zwischen 1911 und 1912 und die Wohnanlage Fünfhaus (heute Leopold-Müller-Hof) in den Jahren 1912–1913.
Seine sozialdemokratische Ausrichtung und Erfahrung im Bau komplexer Objekte für den Wohnungsbau ermöglichten es Gessner, einer der führenden Architekten der baulichen Entwicklungen in Wien zu werden. Die dortigen sozialdemokratische Stadträte planten die Errichtung neuer, rational gestalteter Wohnhäuser, um dadurch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das Phänomen der Entwicklung des öffentlichen Wohnungsbaus, der sog. Gemeindebauten, unter Berufung auf Oscar Neuraths soziologische Forschungen wurde später als „Rotes Wien“ bekannt. Gessner wurde Chefarchitekt des zwischen 1924 und 1926 erbauten Reumannhofs und des zwischen 1926 und 1927 erbauten Karl-Seitz-Hofs. Er arbeitete an weiteren ähnlichen Bauprojekten: Metzleinstalerhof, Lassalle-Hof, Heizmann-Hof und Robert-Zangerl-Hof.
Hubert Gessner widmete sich auch der Industriearchitektur. Sein Ansatz basierte auf seinem Studien bei Otto Wagner: Industriearchitektur sollte nicht wie andere edle Gebäude aussehen, sondern ihren Zweck zeigen; andererseits sollte nicht auf den menschlichen Maßstab und auf Kunstformen verzichtet werden. In den tschechischen Ländern entwarf Gessner 1912 die Mühle und Bäckerei für die Firma Odkolek (1917–1918 umgebaut und erweitert) und das Wohngebäude für die Angestellten der Odkolek-Mühlen im Prager Stadtteil Vysočany (Konskriptionsnr. 300, 1920–1921). Zwischen 1910 und 1911 entwarf Gessner die Arbeiter-Bäckerei in Liberec. Zwischen 1905 und 1943 entwarf er mehr als ein Dutzend Industriegebäude in Wien, Linz, Leoben und Innsbruck.
LZL
čp. (číslo popisné) – Konskriptionsnummer, ein während der Monarchie eingeführtes System der Nummerierung von Gebäuden (im Unterschied zur Orientierungs- bzw. Hausnummer)
1896
Villa Bratmann, čp. 116, Valašské Klobouky
1896–1897
Handels- und Gewerbekammer, čp. 331, Hradec Králové (zus. mit Otokar Bém)
1897
Wohn- und Kaufhaus von Josef Horný čp. 189, Valašské Klobouky (zus. mit Otokar Bém)
1899
Gebäude der Sparkasse in Czernowitz (Ukraine)
1900
Zubau des Hotels Werner (heute Grandhotel) in Brünn
1901
Arbeiterheim Favoriten, Wien
1901–1903
Mietshaus in Wien, Rechte Wienzeiel 68 und Steggasse 1
1903
Kauf- und Mietshaus der Gebrüder Skasik, Opava (zus. mit Franz Gessner)
1903–1904
Bezirkskrankenkasse in Brünn-Zábrdovice
1904
Gebietskrankenkasse in Floridsdorf, Wien
1905
Hotel Slezský dvůr, Opava
1905
Städtisches Bad, Brünn
1905
Sanatorium in Brünn
1905–1907
Sitz des sozialdemokratischen Parteiverlags „Vorwärts“, Wien (zus. mit Franz Gessner)
1904–1908
Mährische Landesheilanstalt des Kaisers Franz Josef I., Kroměříž
1906
Hotel Heinrichshof in Nový Jičín (zus. mit Franz Gessner)
1908
Villa Gessner in Wien, Sternwartestraße 70 (zus. mit Franz Gessner)
1910–1911
Arbeiterbäckerei, čp. 622, Liberec (zus. mit Franz Gessner)
1912, 1917–1918 (Umbau und Erweiterung)
Mühle und Bäckerei Odkolek in Prag-Vysočany
1920–1921
Wohnhaus der Angestellten der Odkolek-Mühlen, čp. 300 in Praze-Vysočany (?)
1924–1926
Wohnhauskomplex Reumannhof, Wien
1926–1927
Wohnhauskomplex Karl-Seitz-Hof, Wien
1929–1931
Augartenbrücke über den Donaukanal, Wien
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Josef August Lux, Hubert Gessner und die Wagnerschule, Innendekoration, 1902, č. 13, s. 297
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M. Kristan, Hubert Gessner Architekt zwischen Kaiserreich und Sozialdemokratie, dizertační práce, Universität Wien 1997
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Jindřich Vybíral, Mladí mistři: Architekti ze školy Otto Wagnera na Moravě a ve Slezsku, Praha 2002
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Pavel Vlček, Encyklopedie architektů, stavitelů, zedníků a kameníků v Čechách, Praha 2004, s. 196–197
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Hubert Johann Gessner, Architektenlexikon, http://www.architektenlexikon.at/de/166.htm, vyhledáno 20. 1. 2019
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Eve Blau, Rotes Wien: Architektur 1919–1934: Stadt-Raum-Politik, Vídeň 2014