Kurt Spielmann war ein deutscher Architekt, der sich in hohem Maße an der Herausbildung der deutschen modernen Architektur in der Tschechoslowakei beteiligte. Seine Realisierungen verbinden die lokale Tradition mit der modernen Monumentalität von Wohnkomplexen (vergleichbar mit den Bauten des „Roten Wien“) sowie mit der Wiener Avantgarde (in erster Linie durch Josef Frank repräsentiert) und der Architektur des Bauhaus.
Spielmann studierte an der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn und später an der Technischen Universität Wien, unter der Leitung der Architekten Siegfried Theiß, Franz Krauß und Leopold Simona. Ende der 1920er Jahre kehrte er zurück in die Tschechoslowakei und ließ sich in Prag nieder, wo sein berühmter Onkel Max Spielmann tätig war. Dieser entwarf mehrere repräsentative Gebäude im Stil des Neobarock.
Noch Ende der 1920er Jahre projektierte Spielmann zusammen mit Alfred Teller einen Wohnkomplex in Wien, der ein älteres Konzept, das sog. Dorfkonzept, weiterentwickelte und aus halboffenen Einheiten bestand, die einen Übergang zwischen der belebten Großstadt und kleineren Kommunen darstellten. Aus dem Jahr 1931 stammt ein eigenständiges Projekt: die Villa von Josef Martínek im Prager Stadtteil Barrandov (Pod Habrovou). Im Jahr 1932 machte der die Bekanntschaft bedeutender deutscher Textilunternehmer aus Dvůr Králové: Paul Deutsch und Arnošt Mautner.
Beiden entwarf Spielmann ein repräsentatives Einfamilienhaus in Dvůr Králové. Die Villa von Paul Deutsch kombiniert traditionelle ländliche Elemente mit avantgardistischen Prinzipien wie einem offenen Wohnzimmer mit französischen Fenstern und einer gläsernen Wand in den Garten. Die beiden Häuser schließen in Bezug auf die Form und die Gestaltung des Interieurs in vielerlei Hinsicht an die Residenzarchitektur von Ernst Wiesner in Brünn an. Für Arnošt Mautners jüngeren Bruder entwarf Spielmann später ein Landhaus in Třebechovice pod Orebem. Im Unterschied zu anderen Landhäusern, die Spielmann bis dato oder zur gleichen Zeit entwarf, fasste er dieses Haus gänzlich anders auf. Das eingeschossige Haus mit beinahe quadratischem Grundriss greift die Prinzipien des Bauhaus-Musterhauses „Haus am Horn“ in Weimar auf, das von Georg Much und Walter Gropius entworfen wurde. Die Regelmäßigkeit des damals neun Jahre alten Prototyps durchbrach Spielmann in seinem Projekt durch unterschiedliche Ebenen in der Wohnhalle und anderen Teilen des Hauses, die sie umgeben, und durch die Terrasse, die von der Wohnhalle durch eine gläserne Wand getrennt wird. Im ursprünglichen Entwurf war eine Dachterrasse vorgesehen, die offensichtlich nicht realisiert wurde. Teil des großen Grundstücks war auch ein Schwimmbecken.
Bemühungen, Häuser für zweckmäßiges modernes Wohnen zu entwerfen, die variabel genug und zugleich repräsentativ sind und über effektvolle räumliche Lösungen verfügen, entwickelte Spielmann in seinem Entwurf für die Villa von Karel und Malča Fuchs. Dort wird zum Garten hin offene Wohnhalle durch eine Glaswand vom Wintergarten getrennt, in den wiederum ein Fenster aus dem erhöhten Salon führt. Aus dem Betriebs- und Repräsentationsteil des Hauses führten zwei Treppen in den ersten Stock, die sich dort trafen.
Die Villa Seger in Teplice entwickelt rein funktionalistische Prinzipien ohne Anzeichen für Erhabenheit und Symmetrie an der straßenseitigen Fassade. Zwei Eingänge – in das untere und obere Geschoss – teilen sie auf den ersten Blick in Betriebs- und Wohn- bzw. Repräsentationsbereich, was dem Konzept der Villa als „Maschine zum Wohnen“ entspricht. Spielmanns Werk erfuhr ein verfrühtes Ende. Zu seinen letzten Projekten zählen der Um- und Aufbau des Hauses von Otakar Smetana in Hradec Králové-Kukleny, ein Einfamilienhaus im Prager Stadtteil Hlubočepy und ein Mietshaus in der Klimentská in Prag (Konskriptionsnr. 2067), das im Erdgeschoss, an den Fensterfaschen und zwischen den Fenstern über Travertinverkleidung verfügt.
Der internationale Überblick, die harmonische Kombination von oft gegensätzlichen Traditionen sowie architektonisch umwälzende Neuheiten, mit denen Spielmann sein Klientel überzeugten konnte, charakterisiert folgende Einschätzung: „Das Lufthaus in Třebechovice (die erhöhte Bibliothek mit Arbeitszimmer) und auch die Villa der Familie Fuchs (ein Fenster zwischen dem erhöhten Salon und dem Wintergarten) sowie gelegentliche Höhenunterschiede, die Wahl luxuriöser Verkleidungsmaterialien aus Holz und Marmor und die Integration von raumteilenden Einbaumöbeln zeigen, dass Spielmanns Wurzeln in der von Adolf Loos geprägten Wiener Schule lagen. Das Bemühen, Wohnraum und Garten durch Glaswände mit Schiebetüren, Bandfenster und eine Terrasse zu verbinden, Errungenschaften wie ein patentierter Mechanismus zum Öffnen der Fenster – entworfen für die Villa in Prag-Barrandov – und äußerst progressive, rational entworfene Küchen mit moderner Ausstattung verweisen wiederum auf Spielmanns enge Vertrautheit mit den Prinzipien der europäischen Avantgarde-Architektur.“ [2] Auch die Kunsthistorikerin Iris Meder ortet Spielmanns Architektur an der Achse der Wiener Moderne und des internationalen Stils. [3]
Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt im jüdischen Ghetto Terezín/Theresienstadt wurde Kurt Spielmann vermutlich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Er ist eines von mehr als sechs Millionen Opfern der Shoa.
LZL
Anmerkungen:
[1] Ladislav Zikmund-Lender: Vídeňská gramatika se setkává s internacionální funkcionalitou. Architekt Kurt Spielmann na Královéhradecku. In: Královéhradecko. 2019. Jg. 10. S. 383–403. Zit. S. 385–386 und 389–391
[2] Ladislav Zikmund-Lender: Vídeňská gramatika se setkává s internacionální funkcionalitou. Architekt Kurt Spielmann na Královéhradecku. In: Královéhradecko. 2019. Jg. 10. S. 383–403. Zit. S. 392
[3] Iris Meder: Offene Welten. Die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910–1938. Dissertation, Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart, 2003. S. 360
čp. (číslo popisné) – Konskriptionsnummer, ein während der Monarchie eingeführtes System der Nummerierung von Gebäuden (im Unterschied zur Orientierungs- bzw. Hausnummer)
1929-1930
Wohnanlage in Wien, Wattgasse 96-98, (zus. mit Alfred Teller)
1931
Villa von Josef Martínek in Prag-Hlubočepy, Pod Habrovou čp. 175
1932
Villa von Paul Deutsch in Dvůr Králové nad Labem, R. A. Dvorského čp. 1710
1932
Villa von Ernst Mautner in Dvůr Králové nad Labem, 5. května čp. 368
1932
Landhaus von J. Korff, Doksy
1932
Villa Seger in Teplice, Maxe Švabinského, čp. 2005
1933
Wohnhaus von Adolf Mautner in Třebechovice pod Orebem, Palackého čp. 793
1935
Verkaufsladen des Prager Wollklubs
1935
Villa von Karel und Malča Fuchs in Hradec Králové, Vrchlického čp. 958
1935
Landhaus von Dr. Pirka in Lísková (Gemeinde existiert nicht mehr)
1936
Villa mit Ordination von Dr. Otakar Smetana, Hradec Králové-Kukleny, Pražská třída čp. 221
1935–1937
Einfamilienhaus in Prag-Hlubočepy, Hlubočepská čp. 409
1936
Mietshaus mit Passage, Prag-Nové Město, Klimentská čp. 2067
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Kurt Spilemann, Zwei Wohnhäuser von Arch. Kurt Spielmann, Forum: Zeitschrift für Kunst, Bau und Einrichtung, roč. 1933, č. 3, s. 247–251.
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Iris Meder, Offene Welten: Die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910–1938. Dizertacní práce, Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart, 2003.
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Ladislav Zikmund-Lender, Bemühen um die intime Raumform: Architekti Karl Dirnhuber, Kurt Spielmann a Heinrich Kulka na Královéhradecku, in: Marcel Fišer (ed.), Mezery v historii / Lücken in der Geschichte Umělecko-historické sympozium věnované tvorbě německých a německy hovořících výtvarníků a architektů na území Čech, Moravy a Slezska před rokem 1945, 2018, Cheb 2019. S. 41–61. Dostupné on-line z https://issuu.com/triodon/docs/sbornik_mezery_v_historii_2018_cz, vyhledáno 30. 5. 2019.
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Ivo Kadlečcek, Hazkarat nešamot za architekta Kurta Spielmanna a jeho realizace na severu východních Čech, in: Kol. aut., Královéhradecko, 2019, roč. 10, s. 91–144.
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Ladislav Zikmund-Lender, Vídeňská gramatika se setkává s internacionální funkcionalitou: Architekt Kurt Spielmann na Královéhradecku, in: Kol. aut., Královéhradecko, 2019, roč. 10, s. 383–403.